Die gute Nachricht zuerst: Waren in Schaufenstern − und nicht nur dort – müssen nicht mehr mit Preisschildern ausgestattet sein oder eine Preisbeschriftung aufweisen. Die Preisauszeichnung ist nun freiwillig. Der Hörakustiker kann frei entscheiden. Entscheidet er sich jedoch für eine Werbung mit dem Preis, liegt ein Angebot im Sinne des Wettbewerbsrechtes vor. Der Hörakustiker muss also einen Gesamtpreis nennen.

 

Schaufensterwerbung ist das probate Mittel, um Kunden zu einem Besuch des Geschäftes zu veranlassen. Schließlich wählt das Hörakustikunternehmen am besten einen Standort mit viel Laufkund-schaft, die gerne in sein Schaufenster schaut. Bis vor wenigen Jahren konnte der Hörakustiker die Hörgeräte unbeanstandet im Schaufenster ohne Preise ausstellen. Der endgültige Kaufpreis ist schließlich noch nicht bestimmbar, denn das Produkt Hörgerät muss zuerst noch individuell angepasst werden.

 

Eine Preisangabe gestaltet sich folglich als sehr schwierig, da sich ein realistischer Preis häufig erst im Laufe des Anpassungsprozesses ergibt. Hörgeräte sind sehr attraktive, futuristisch anmutende Eyecatcher, bunt, klein, praktisch und mit vielen Raffinessen. Das klobige beige Hinter-dem-Ohr(HdO)-Gerät des vergangenen Jahrhunderts gehört endlich der Vergangenheit an. Da kann der Hörakustiker doch zeigen, was er anzubieten hat. Irgendwann sah das ein großer deutscher Wettbewerbsverband anders und mahnte das eine oder andere Unternehmen ab. Eines wehrte sich erfolgreich dagegen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun letztinstanzlich in einer bahnbrechenden Entscheidung festgestellt, dass der Unternehmer keine Preise für das beworbene Produkt angeben muss (BGH, Urteil vom 10.11.2016, Az: I ZR 29/15).

 

Im Schaufenster einer größeren westdeutschen Stadt hatte ein Hörakustiker in seinem Schaufenster zwei Säulen aufgebaut. Auf der einen Säule ordnete er drei In-dem-Ohr(IdO)-Geräte an, die er mit einem Text auf der Säule, unter anderem mit dem Ausdruck beschrieb: „Eine maßgefertigte Meisterleistung …“. Auf der anderen Säule waren drei HdO-Geräte angeordnet, die auch als solche bezeichnet wurden. Ein Text beschrieb kurz die technische Funktionsweise der HdO-Geräte.


Weder auf der einen noch auf der anderen Säule waren die dort ausgestellten Hörgeräte mit Preisen versehen. Neben den beiden genannten Präsentationssäulen bot das Hörakustikunternehmen weitere Waren zum Kauf an, darunter Hörgeräte mit Preisauszeichnungen sowie andere Produkte. Nach erfolgloser Abmahnung nahm der Wettbewerbsverband den Hörakustiker auf Unterlassung und Erstattung pauschaler Mahnkosten in Anspruch. Sowohl in der ersten Instanz (Landesgericht (LG) Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2014, Az: 12 O 630/12U) als auch vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2015, Az: I-2 U 29/14) blieb die Klage des Wettbewerbsverbandes erfolglos.

Die Entscheidung des BGHs befasst sich ausgiebig mit der Preisangabenverordnung (PAngV), den dazu einschlägigen europarechtlichen Richtlinien und der Frage, wann im Sinne der PAngV ein Angebot vorliegt. Die vor dem hier zu besprechenden Rechtsstreit ergangenen Urteile waren in Bezug auf die Preisauszeichnung von Hörgeräten im Schaufenster uneinheitlich. So hatte das LG Berlin eine Preisauszeichnungspflicht für Hörgeräte im Schaufenster verneint. Zur Begründung führte es an, bei einem Hörgerät handele es sich um ein technisch aufwendiges Gerät, das von dem Kunden erst genutzt werden könne, nachdem es in einem umfangreichen Anpassungsprozess vom Hörakustiker für diesen eingestellt worden sei.

Hinzu komme, dass nicht jedes Hörgerät von jeder Person getragen werden könne, sondern dass zunächst in einem oft mehrere Wochen oder sogar Monate andauernden Verfahren in Zusammenarbeit mit dem Hörakustiker festgestellt werden müsse, welches der diversen auf dem Markt vorhandenen Geräte für den jeweiligen Kunden am besten geeignet sei. Danach war der Preis im Schaufenster zumindest für Hörgeräte entbehrlich. Andere Obergerichte, so das OLG Hamm und ihm folgend das LG München sahen den Hörakustiker jedoch auch bei der Auslage von Hörgeräten im Schaufenster in der Pflicht, Preise zu nennen.

Der BGH stellt in seiner Entscheidung jedoch nicht auf die branchenspezifischen Eigenschaften von Hörgeräten ab, sondern wirft die Frage auf, wann denn generell ein Angebot in einem Schaufenster vorliegt. Der BGH prüft zunächst, ob ein Angebot im Sinne des Paragrafen 1 Abs. 1 Satz 1 erster Fall PAngV vorliegt, denn dann müsste zwingend ein Preis genannt werden. In der Zwischenzeit, also vor Erlass des Urteiles des BGHs, hat sich jedoch der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage des wettbewerbsrechtlichen Begriffes des Angebotes auseinandergesetzt (EuGH, Urteil vom 07.07.2016, Az.: C-476/14, Citroën Commerce GmbH) und den Begriff des Angebotes im Sin­ne der PAngV richtlinienkonform an­hand der Preisangabenrichtlinie ge­messen.

Danach liegt ein Angebot nur vor, wenn der Unternehmer das bewor­bene Erzeugnis mit seinen Besonder­heiten und den Preis nennt. Das heißt im Klartext, ob der Unternehmer einen Preis nennt, steht ihm frei und ist frei­willig. Nur wenn er einen Preis nennt, liegt ein Angebot vor und es muss der Gesamtpreis genannt werden. Dem folgt der BGH und stellt fest, eine Werbung, in der kein Preis für das be­worbene Produkt angegeben ist, kann nicht als Angebot im Sinne von Paragraf 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV angesehen werden. Der BGH prüft sodann Paragraf 4 Abs. 1 PAngV. Diese Norm befasst sich mit der Frage, ab wann das Unterneh­men im Schaufenster Waren ausprei­sen muss. Hier kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass Paragraf 4 PAngV ein Angebot voraussetzt, denn Para­graf 4 PAngV regelt allein die Art und Weise der Preisangabe, nämlich durch Preisschilder oder Beschriftung der Ware. Umgekehrt formuliert, erfasst die Bestimmung des Paragrafen 4 PAngV nicht die reine Werbung im Schaufenster durch Präsentation der Ware ohne Preisangabe.

 

Die Entscheidung geht weit über die Schaufensterwerbung hinaus und ist von historischer Bedeutung. Der Unternehmer generell und der Hörakustiker insbesondere müssen kei- ne Preise mehr nennen. Zwar ist die Preisauszeichnung durch das Hörakus­tikunternehmen nun freiwillig, aber Achtung: Preiswettbewerb ist ein pro­bates Mittel, um Kunden anzuspre­chen. Die Kaufentscheidung des Kun­den beruht in den allermeisten Fällen auf dem Kriterium des Preises. Wenn der Hörakustiker nun also Preise nennt, muss es nach den Anforderungen des EuGHs der sogenannte Gesamtpreis sein, denn hier gilt nun wieder die PAngV. Diese beschreibt den Gesamt­preis als Preis einschließlich der Um­satzsteuer und der sonstigen Preisbe­standteile.

 

Es stellt sich also die Frage, was Preisbestandteile sind. Hierzu zählen mit Sicherheit zunächst einmal die Otoplastiken oder das Hörschlauchsys­tem. Diese müssen in den Gesamtpreis miteinberechnet werden. Features, wie zum Beispiel Schnittstellen zu Unter­haltungs- und Kommunikationselektronik, binaurale Koppelung oder eine Windrauschunterdrückung, müssen, wenn sie in der Werbung angepriesen werden, dann auch in dem Preis mit­inbegriffen sein und stellen somit den Gesamtpreis dar. Nicht in den Gesamt­preis miteinzuberechnen sind Zube­hör, Ersatzteile oder Verbrauchsmate­rialien. So gehören Batterien grund­sätzlich nicht zum Gesamtpreis, da sie in regelmäßigen Abständen von dem Kunden bei sogenannten Folgegeschäf­ten erworben werden. Die Angabe des Gesamtpreises muss vor allem den Grundsätzen der Preisklarheit und Preiswahrheit entsprechen, wobei der Gesamtpreis besonders hervorzuheben ist (Paragraf 1 Abs. 6 Satz 1 und Satz 3 PAngV), um die Verbraucher in die Lage zu versetzen, die einzelnen Angebote ohne besondere Mühe zu vergleichen.

 

Dazu kann sich der Hör­akustiker auch eines Sternchenhinweises bedienen, auf dessen Inhalt hier nicht näher eingegangen werden soll. Für die Praxis ebenfalls sehr relevant ist die Frage, wie Hörakustiker, die in der Vergangenheit eine strafbewehrte Unterlassungserklärung aufgrund ei­ner Abmahnung abgegeben haben, nicht ohne Preise im Schaufenster zu werben, sich von diesem Vertrag lösen können. Der abgemahnte Hörakustiker sollte sich von dem Vertragsstrafever­sprechen durch einseitige Kündigung lösen. Die Kündigung sollte schriftlich erfolgen, sie unterliegt keiner Kündi­gungsfrist. Insgesamt ist die Entscheidung sehr zu begrüßen, auch wenn der Kunde als informierter Verbraucher im Einzelfall in Zukunft schwerer eine freie geschäftliche Entscheidung treffen kann. In der Hörakustik ist die Nen­nung eines Gesamtpreises schon im­mer im Hinblick auf den Anpassungs­prozess schwierig gewesen, sodass der Verbraucherschutzgedanke bran­chenspezifisch zurücktreten muss. An­deres mag für Lebensmittel und Co. gelten.

 

Peter Radmacher · biha

 

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