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Einmal Lärmschwerhörigkeit, immer Lärmschwerhörigkeit

Wer in seinem Arbeitsleben großem Lärm ausgesetzt ist, kann eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit erleiden. Für die entsprechenden Versorgungskosten kommt in diesen Fällen die Unfallversicherung auf, sofern die Schwerhörigkeit von der Unfallversicherung als berufsbedingt anerkannt wird. Dabei handelt es sich um die Berufskrankheit Nr. 2301 der Berufskrankheitsliste: Lärmschwerhörigkeit. Doch was ist, wenn die Unfallversicherung die Berufsbedingtheit Jahre später plötzlich verneint – etwa aufgrund einer erneuten Überprüfung oder einer hinzutretenden Altersschwerhörigkeit? Kann die einmal anerkannte Lärmschwer-hörigkeit dann wieder aberkannt werden? Mit dieser Frage musste sich nun das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt beschäftigen.

Wenn die Unfallversicherung aufgrund berufsbedingter dauerhafter Gesundheitsgefährdung eine Lärmschwerhörigkeit attestiert, kann diese nicht mit einem späteren Gutachten verneint werden. Die Unfallversicherung bleibt also an ihre Feststellung gebunden.

 

Sachverhalt

Nachdem die Unfallversicherung eines Schwerhörigen dessen Hörminderung als berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit anerkannt hatte, erfolgte zehn Jahre später eine erneute Überprüfung. Dabei wurde festgestellt, dass es sich bei der vorliegenden Hörminderung um eine hochfrequenzbetonte Innenohrschwerhörigkeit handelte. Diese sei laut Gutachter jedoch untypisch für eine Lärmschwerhörigkeit. Zudem habe sich die Hörminderung nach dem Ende der beruflichen Lärmexposition erheblich verschlechtert. Die Unfallversicherung verweigerte daraufhin die weitere Versorgung mit Hörsystemen und erklärte, dass eine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit nicht vorläge.

Gegen den entsprechenden Bescheid der Unfallversicherung legte der Schwerhörige zunächst Widerspruch und dann Klage ein. Eine Versorgung seiner Schwerhörigkeit durch den Unfallversicherungsträger müsse weiterhin erfolgen. Das erstinstanzlich angerufene Sozialgericht Halle bestätigte die Auffassung des Klägers. Die gegen dieses Urteil vom Unfallversicherungsträger eingelegte Berufung wies nun das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 10.11.2022 (Az. L 6 U 87/20) zurück. 

 

Entscheidungsgründe

Das Landessozialgericht führte zunächst aus, dass die einmal erfolgte Anerkennung der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit von der Unfallversicherung nicht aufgrund der erneuten Überprüfung für die Zukunft aufgehoben werden könne. Es liege schließlich grundsätzlich keine Änderung der vor zehn Jahren festgestellten Schwerhörigkeit vor. Zwar habe eine neue Begutachtung festgestellt, dass eine hochfrequenzbetonte Innen­ohrschwerhörigkeit vorliege, welche nach gutachterlicher Feststellung gegen die Berufsbedingtheit der Schwerhörigkeit spreche. Diese hochfrequenzbetonte Innenohrschwerhörigkeit habe aber auch zum Zeitpunkt der ersten Begutachtung bereits vorgelegen. Dass diese damals nicht zur Ablehnung einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit geführt habe, könne dem Schwerhörigen nun aber nicht mehr zur Last gelegt werden. Insoweit greife der „Vertrauensschutz“ im Hinblick auf den ursprünglichen Anerken-nungsbescheid. Sofern die Unfallversicherung ergänzend vorgetragen hatte, dass sich das Hörvermögen des Klägers nach dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit deutlich weiter verschlechtert habe, kann dieser Vortrag ebenfalls nicht zum Ausschluss der Leistungspflicht der Unfallversicherung führen. Denn auch eine weitere Verschlechterung des Hörvermögens, etwa aufgrund des Alters des Klägers, lasse den einmal eingetretenen Anspruch gegen die Unfallversicherung nicht mehr entfallen, denn hierbei würde es sich nach der insofern maßgebenden „Königsteiner Empfehlung“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) um einen „unbeachtlichen Nachschaden“ handeln. Ein solcher Nachschaden führt aber nicht zum Wegfall bereits entstandener Entschädigungsansprüche. Der Kläger behält damit auch weiterhin den Anspruch gegen seine Unfallversicherung auf Versorgung mit den benötigten Hörsystemen.

 

Für die Praxis

Wer berufsbedingt einer dauerhaften Gesundheitsgefährdung ausgesetzt ist, genießt in Deutschland besonderen Schutz. Zunächst einmal sind die Arbeitgeber verpflichtet, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die Berufsgenossenschaften steht diesen dabei zur Seite. Kommt es dennoch zu einer Gesundheitsschädigung beim Arbeitnehmer, so greift dessen Schutz über die Unfallversicherung. Dies gilt insbesondere bei einer berufsbedingt erworbenen Lärmschwerhörigkeit. Einmal festgestellt, genießt der Ge-schädigte einen besonderen Vertrauensschutz. Der Unfallversicherungsträger kann nicht einfach später ein neues Gutachten einholen und die festgestellte Lärmschwerhörigkeit dann plötzlich verneinen. Wurde die Schwerhörigkeit von der Unfallversicherung als Berufskrankheit Nr. 2301 anerkannt, so bleibt die Unfallversicherung grundsätzlich an diese Feststellung gebunden. Dies gilt auch und vor allem, wenn nach Ende der beruflichen Laufbahn eine Schadensvertiefung hinzutritt, etwa durch eine weitere Verschlechterung des Hörvermögens. Diese Schadensvertiefung bleibt grundsätzlich als unbeachtlicher Nachschaden außer Acht – es sei denn, es tritt außerhalb der Arbeitstätigkeit eine derart starke weitere Schädigung des Hörvermögens ein, dass der durch die berufsbedingte Lärmeinwirkung verursachte Hörschaden als unwesentlich einzustufen wäre. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine berufsbedingte leichte Schwerhörigkeit vorliegt und außerhalb der Arbeitstätigkeit ein Knalltrauma und dadurch bedingt eine besonders starke Schwerhörigkeit eintritt. In diesem Fall würde die Zuständigkeit der Unfallversicherung enden, da der nunmehr starke Hörschaden wesentlich durch das später erfolgende Knalltrauma verursacht worden wäre. Handelt es sich jedoch lediglich um eine weitere, z. B. altersbedingte, Verschlechterung der arbeitslärmbedingten Schwerhörigkeit, so kann diese Verschlechterung an der Berufsbedingtheit der Schwerhörigkeit nichts mehr ändern. Dies hält die Königsteiner Empfehlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) explizit fest, weshalb diese vom Landessozialgericht auch zutreffend zitiert wurden. Die Königsteiner Empfehlung in der aktuellen Fassung von Oktober 2020 steht allen Interessierten online unter https://publikationen.dguv.de zur Verfügung und enthält sowohl Vorgaben zur Feststellung einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit als auch zu den sich daraus ergebenden Folgen.

Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Alexandra Gödecke, Juristin, Abteilung Soziale Sicherung, Bundesinnung der Hörakustiker (biha) KdÖR

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