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Bitte nicht vom Weg abkommen

Ohne Hilfsmittel ist vielen Arbeitnehmern die Verrichtung ihrer beruflichen Tätigkeit schlicht nicht möglich – so z. B. die Brille zum Ausgleich einer Sehschwäche oder das Hörsystem zur Verbesserung des Hörvermögens. Da scheint es nur logisch, dass der Besuch des Optikers oder des Hörakustikers auf dem Weg zur Arbeit einen beruflichen Bezug haben kann und ein Unfall auf diesem Weg als Arbeitsunfall einzustufen ist. Aber ist das wirklich so oder greift der Unfallversicherungsschutz am Ende doch nicht?

 

Sachverhalt

Mit dieser Fragestellung sah sich eine hörbeeinträchtigte Fahrdienstleiterin der Deutschen Bahn konfrontiert, die für ihre Hörgeräte Ersatzbatterien benötigte. Zum Mitführen von Ersatzbatterien hatte sie sich ihrer Arbeitgeberin gegenüber schriftlich verpflichtet. Daher wollte sie auf dem Weg zu ihrer Spätschicht neue Ersatzbatterien erwerben, stürzte jedoch vor dem Geschäft ihres Hörakustikers. Die Unfallversicherung lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab.

 

Entscheidungsgründe

Im nachfolgenden Klageverfahren bestätigte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (L 3 U 148/20) die Auffassung der Unfallversicherung: Ein Sturz auf dem Weg zum Hörakustiker ist in der Regel nicht als Arbeitsunfall anzusehen. Denn Hörgeräte würden auch dem privaten Ausgleich einer Hörminderung dienen und damit nicht ausschließlich beruflich genutzt. Dies gelte selbst dann, wenn auf die private Nutzung freiwillig verzichtet werde.

Dass die Klägerin sich ihrer Arbeitgeberin gegenüber schriftlich verpflichtet hatte, stets Ersatzbatterien mit sich zu führen, änderte an dieser Bewertung nichts. Denn es sei die Pflicht jedes Arbeitnehmers, funktionsfähig zur Arbeit zu erscheinen. Hierzu gehöre es aber auch, das entsprechende Hilfsmittel zur Kompensation einer körperlichen Einschränkung mit sich zu führen.

Im Übrigen lägen auch keine besonderen Umstände vor, die eine andere Beurteilung des Sachverhalts rechtfertigen würden. So habe die Klägerin nicht etwa plötzlich und ohne weiteren Verzug vor der Arbeit Batterien für ihre Hörgeräte erwerben müssen. Vielmehr sei sie in der Lage gewesen, sich im Vorfeld darum zu kümmern, stets ausreichende Mengen an Hörgerätebatterien zu bevorraten. Es läge daher kein besonders enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Ersatzbatterien und der Arbeitstätigkeit vor.

Trotz seines eindeutigen Urteils hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen, sodass eine anderweitige Entscheidung in höchster Instanz noch möglich ist.

 

Für die Praxis

Um einen Unfall auf dem Weg zum Hörakustiker als Arbeitsunfall einstufen zu können, muss es sich beim Hörgerät um ein Arbeitsmittel handeln. Dieser Einordnung erteilte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg jedoch eine eindeutige Absage: Persönliche Gegenstände wie Hörgeräte oder Brillen gehören grundsätzlich nicht zu den Arbeitsgeräten. Folglich sind auch Unfälle im Zusammenhang mit deren (Ersatz-)Beschaffung in der Regel nicht über die Unfallversicherung versichert. Dies gilt zumindest dann, wenn eine Hörminderung durch eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen wird, wie das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ausdrücklich klarstellt. Sofern das Hilfsmittel jedoch berufsbedingt durch die Deutsche Rentenversicherung bereitgestellt wird, könnte ein Unfall bei den damit in Zusammenhang stehenden Beschaffungen durchaus als Arbeitsunfall anerkannt werden.

Das Urteil zum Fall lesen Sie hier

Alexandra Gödecke, Juristin, Abteilung Soziale Sicherung, Bundesinnung der Hörakustiker KdöR (biha)

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