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Wird Medizinprodukten in der Werbung eine Wirkung zugeschrieben, die sie nicht haben, liegt eine Irreführung nach Art. 7 a) der Medical Device Regulation (MDR) VO 2017/745 vor. Nach dem Strengeprinzip ist eine gesundheitsbezogene Werbung nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. In der Gesundheitswerbung werden besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen gestellt, da mit irreführenden Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des körperlichen Wohlbefindens drohen.

 

Sachverhalt:

In der Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main vom 02.12.2021, Az.: 6 U 121/20, ging es um Aussagen zur Wirkung von Medizinprodukten. Das Unternehmen, gegen das die Unterlassungsklage gerichtet war, vertreibt ein Heilerdepulver zum Einnehmen. In der Packungsbeilage und in der Umverpackung stand, dass das Produkt insbesondere zur Unterstützung bei der „Körperentgiftung“ helfe. Des Weiteren hieß es in der Werbung, dass das Mittel unter anderem folgenden positiven Nutzen habe: „Innere Reinigung für einen gesunden Körper“, „Leber und Nieren entlasten“, „Aktiver Schutz vor freien Radikalen“ und „ … kann Histamine und andere biogene Amine aus der Nahrung binden. Beschwerden können gelindert und die Lebensqualität natürlich verbessert werden“. Darüber hinaus wurde mit zahlreichen Studien geworben. Es sei erwiesen, dass Schadstoffe und Umweltgifte den Organismus schädigen und Zellen sogar funktionsuntüchtig machen können. Müdigkeit, geringere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit oder ein geschwächtes Immunsystem könnten die Folge sein. Regelmäßiges Entgiften könne Wohlbefinden, Abwehrbereitschaft und Vitalität des gesamten Organismus fördern, so das werbende Unternehmen. Ein Wirksamkeitsnachweis lag nicht vor. Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main hat den Anbieter des Produkts zur Unterlassung verurteilt, hiergegen richtete sich die eingelegte Berufung.

 

Entscheidungsgründe

Das OLG Frankfurt am Main schloss sich der Auffassung der ersten Instanz an und bestätigte den Unterlassungsanspruch. Die Wirkungsaussagen verletzen §§ 3, 3a, 8 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) i. V. m. § 3 S. 2 Nr. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) a. F. und i. V. m. Art. 7 a) MDR; die Werbeangaben sind irreführend und somit unzulässig. Da sich die Vorschriften des Heilmittelwerberechts weiterentwickelt haben, muss die beanstandete Werbung sowohl zum Zeitpunkt der Werbeaktion als auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht rechtswidrig gewesen sein. Als dem Produkt die positiven Wirkungen vom vertreibenden Unternehmen zugeschrieben wurden, galt für Medizinprodukte § 3 S. 2 Nr. 1 HWG. Erst ab Mai 2021 gehörten Medizinprodukte nicht mehr ausdrücklich zum Anwendungsbereich der Norm. Für Medizinprodukte besteht jedoch das Europäische Irreführungsverbot des Art. 7 MDR. Die MDR ist auch für Produkte anwendbar, die bereits vor dem 26.05.2020 – dem Tag des Inkrafttretens der Regelung – vertrieben wurden. Das bedeutet, dass auch „Altprodukte“ dem Irreführungsverbot des Art. 7 MDR unterfallen.

 

Irreführung über die Wirkungen eines Medizinprodukts

Nach § 3 S. 2 Nr. 1 HWG ist eine Irreführung gegeben, wenn Medizinprodukten Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Des Weiteren ist laut Art. 7 a) MDR bei der Bewerbung von Produkten untersagt, Texte und Bezeichnungen zu verwenden, die den Anwender hinsichtlich der Zweckbestimmung, Sicherheit und Leistung des Produkts irreführen können, indem sie dem Produkt Funktionen und Eigenschaften zuschreiben, die es nicht besitzt. Die bislang in § 3 S. 2 Nr. 1 HWG geregelten Angaben über Wirkungen des Medizinprodukts sind von dieser Irreführungsvariante der MDR erfasst. Daher kann auf die Kriterien der Rechtsprechung zu § 3 HWG zurückgegriffen werden. Insofern gelten für beide Vorschriften die gleichen Anforderungen, wenn mit der Wirkung von Medizinprodukten geworben werden soll.

 

Strenge Anforderung bei gesundheitsbezogener Werbung

Im vorliegenden Fall wurden dem Heilerdemittel – welches unstreitig ein Medizinprodukt ist – positive Auswirkungen für die Körpergesundheit zugeschrieben. Die behaupteten Wirkungsaussagen entsprachen aber nicht den Tatsachen und waren daher irreführend. Bei gesundheitsbezogener Reklame gelten besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit der Werbeaussage. Das liegt daran, dass mit irreführenden Wirkungsaussagen erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können. Eine gesundheitsbezogene Werbung i. S. d. § 3 HWG ist nach dem Strengeprinzip nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, so das Oberlandesgericht. Fehlen dem werbenden Unternehmen wissenschaftlich gesicherte Belege, die die werbliche Behauptung stützen können, wird diese Voraussetzung nicht erfüllt. Das gilt ebenfalls, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung anzusprechen. So lag der Fall hier, da die angegriffenen Aussagen wissenschaftlich ungesichert oder zumindest fachlich umstritten waren. Es besteht nämlich eine ungesicherte Studienlage zu der Diagnose der Histaminunverträglichkeit. Einen Hinweis auf die umstrittenen Studien findet sich allerdings nicht. Auch bei Behandlungsmethoden und therapeutischen Ansätzen wird die Heilerde nicht erwähnt.

 

Studien müssen Goldstandard erfüllen

Dies gilt ebenfalls für die weiteren Werbeaussagen zum Heilerdeprodukt. Entweder wurden kritische Stimmen zum Medizinprodukt verschwiegen oder es lag eine fehlende wissenschaftliche Absicherung des Wirkungsversprechens vor. Die wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse müssen zudem bereits im Zeitpunkt der Werbung dokumentiert sein. Auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse können sich Wirkungsaussagen nur dann stützen, wenn die Studien nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Voraussetzung ist die Einhaltung eines sogenannten wissenschaftlichen Goldstandards. Das bedeutet, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Dieser Maßstab gilt generell und nicht nur dann, wenn in der Werbung explizit die Behauptung einer wissenschaftlichen Absicherung aufgestellt wurde. Ergänzend kam hinzu, dass die vorgelegten Dokumente und Studien – unabhängig von der Einhaltung des Goldstandards – bereits nicht geeignet waren, den Wirkungsnachweis zu erbringen. Die in der Werbung zitierte Studie konnte eine Wirksamkeit nicht eindeutig belegen; gleichwohl wurde eine positive Auswirkung auf die Gesundheit des Verbrauchers in Aussicht gestellt. Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass ein Poster der United Gastroenterology und das Abstract einer Studie nicht den wissenschaftlichen Goldstandard erfüllen.

Auch die CE-Zertifizierung einer Benannten Stelle kann nicht als Wirksamkeitsnachweis genannt werden. Im Rahmen dieses Verfahrens werden die Produktsicherheit und das Qualitätssicherheitssicherungssystem, unter dessen Geltung das zertifizierte Produkt hergestellt wurde, überprüft. Eine umfassende Überprüfung zur Wirksamkeit des Produkts findet allerdings nicht statt. Daher bleibt es bei dem Grundsatz: Solange eine behauptete Wirkung nicht nachgewiesen ist, darf sie nicht beworben werden. Das gilt für Heilerde genauso wie für Hörsysteme.

 

Für die Praxis

In der Hörakustik geht es zwar nicht um Heilerde und die damit einhergehenden positiven Auswirkungen auf die Gesundheit, sondern um das Medizinprodukt Hörsystem. Dennoch ist die Entscheidung übertragbar auf das Hörakustikhandwerk. In der Werbung mit positiven Eigenschaften eines Hörsystems sollten Wirkungsaussagen vorsichtig gewählt werden, denn wenn auf wissenschaftliche Forschungen Bezug genommen wird, gilt hier ebenfalls der Grundsatz des Goldstandards. Eine Bezugnahme kann bereits vorliegen, wenn keine konkrete Studie genannt wird, aber allgemein die Werbung so gestaltet ist, als wäre sie wissenschaftlich abgesichert. Es kommt also maßgeblich auf die Werbeaussage an.

Wirbt der Hörakustiker mit Leistungen und Funktionen eines Produkts – ähnlich einer therapeutischen Wirksamkeit oder Wirkung – müssen entsprechende Gutachten vorliegen, die die Aussage stützen. Die Werbung mit einer bestimmten Gehörschulung zur Verbesserung des Gehörs oder Hörsystemen, die vor Krankheiten schützen können, wäre abmahnfähig, wenn diese Wirkungsaussagen nicht wissenschaftlich belegt sind. Denn sowohl das Versprechen, die Verbesserung des Gehörs mittels Training zu erreichen als auch der Schutz vor ernsthaften Erkrankungen durch Tragen eines Hörsystems fallen unter den Anwendungsbereich des Art. 7 a) MDR. Insofern sind derartige Wirkungsaussagen, die nicht durch eine oder mehrere Goldstandardstudien erwiesen sind, irreführend und damit wettbewerbswidrig.

 

Beschränkte Aussagekraft der CE-Zertifizierung

Das OLG Frankfurt machte auch deutlich, dass eine bloße CE-Zertifizierung einer Benannten Stelle nicht für Werbeaussagen mit Wirkungsversprechen ausreichen. Das wäre nur ausnahmsweise der Fall, wenn die beworbene Wirkung im Zertifizierungsverfahren mit überprüft worden wäre. Da die Benannten Stellen meistens nur Plausiblitätsprüfungen durchführen, sind die CE-Zertifizierungen nicht geeignet, als wissenschaftlicher Nachweis herangezogen zu werden.

 

Verringerung des Demenzrisikos

Besonders vorsichtig sollten Hörakustiker bei Werbemaßnahmen sein, die sich darum drehen, das Demenzrisiko von schwerhörigen Personen durch Tragen von Hörsystemen zu verringern. Bislang gibt es keine wissenschaftlichen Studien (Doppelblindstudien, zufallsbedingt und placebokontrolliert), die nachweisen konnten, dass das Risiko, an Demenz zu erkranken, durch unversorgte Schwerhörigkeit gesteigert wird. In der Wissenschaft wird zwar ein Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz gesehen, allerdings ist noch unklar, wie es dazu kommt. Es existiert eine Theorie, dass beiden Erkrankungen eine gemeinsame Ursache zugrunde liegt. Hinzu kommt, dass Schwerhörigkeit zur sozialen Isolation beiträgt, welche ebenfalls ein bekannter Risikofaktor für eine Demenzerkrankung ist. Eine Kausalität zwischen Hörverlust und Demenz lässt sich anhand der derzeitigen Studienlage jedoch nicht ableiten. Insgesamt sind sich die Forscher einig, dass noch weitere Studien erforderlich sind, um die Auswirkungen von unversorgter Schwerhörigkeit zu erfassen. Werden in einer Werbung Studienergebnisse genannt oder Wirkungsweisen vorgestellt, sollte darauf geachtet werden, dass dem Leser kein falsches Bild vermittelt wird. Einschränkungen, Unklarheiten und alle sonstigen relevanten Angaben müssen erwähnt werden, damit das Gebot der Zitatwahrheit eingehalten wird. Wenn in der Werbung die Besonderheiten der Art, Durchführung oder Auswertung der Gutachten fehlen, könnte die Zitatwahrheit verletzt werden. Das gilt umso mehr, wenn die in den Studien selbst gemachten Einschränkungen im Hinblick auf Validität und Bedeutung der gefundenen Ergebnisse nicht zum Ausdruck kommen.

 

Zitatwahrheit muss eingehalten werden

Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es verschiedene Formen von Demenzerkrankungen gibt und daher „die Demenzerkrankung“ nicht existiert. Stattdessen gibt es diverse Erkrankungen, die alle unterschiedliche Ursachen haben. Als Beispiel kann die Alzheimer-Krankheit genannt werden, welche die häufigste Demenzform ist. Hinzu kommt die vaskuläre Demenz, die sowohl zur Verlangsamung als auch zu Denkschwierigkeiten führt, nicht aber zu Gedächtnisstörungen. Bei der Multi-Infarkt-Demenz wird hingegen das Gehirn aufgrund vieler kleiner Schlaganfälle geschädigt. Insofern muss bei Werbeaussagen darauf geachtet werden, welche Wirkungsaussage genannt wird. Es besteht hierbei die Gefahr, dass die Aussage zu kurz gegriffen und daher in ihrer Pauschalisierung irreführend ist.

Es kommt also darauf an, dass sich die Werbeaussagen mit den Studienergebnissen decken. Sollten in den wissenschaftlichen Publikationen Hinweise auf eine beschränkte Aussagekraft der Studien bzw. zu der Wirkungsaussage getroffen werden, verbietet sich die pauschale oder verkürzte Wiedergabe der Forschungsergebnisse. Anderenfalls wäre die Werbung irreführend, da dem Leser mehr versprochen wird, als bisher existierende Untersuchungen halten können.

Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Stephanie Graeff, Syndikusrechtsanwältin, Bundesinnung der Hörakustiker KdöR (biha)

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