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Neben dem regulären Weg über die Gesellen- und Meisterprüfung bietet die Handwerksordnung (HwO) mit der Ausnahmebewilligung des § 8 eine weitere Option, die eine Übernahme einer Betriebsleiterposition ermöglicht. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hatte nun zu entscheiden, welche Maßstäbe bei der Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung anzulegen sind (Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.06.2021, 4 E 222/21).

 

Sachverhalt

Der 1990 geborene Kläger war 2011 mit 21 Jahren nach Deutschland gezogen. Er hatte seit 2013 als Angestellter und im Anschluss von 2014 bis 2015 als selbstständiger Friseur mit Betriebsleiter sowie danach ab 2015 wieder als angestellter Friseur gearbeitet. 2018 fand dann die Einbürgerung des Klägers statt. Seinen Antrag auf die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 HwO hatte die zuständige Handwerkskammer abgelehnt. Auch das nachfolgende Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Als Begründung für seinen Antrag hatte der Kläger u.  a. vorgetragen, dass er sich aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse nicht erfolgreich auf die Meisterprüfung vorbereiten könne. Er wolle zudem nur in den Bereichen Herrenhaarschnitte und Bartpflege tätig werden und verfüge hierfür über die notwendigen Fähigkeiten. Für seine Klage auf Erteilung der begehrten Ausnahmebewilligung machte der Kläger dann Prozesskostenhilfe geltend, die ihm aber durch das Verwaltungsgericht Düsseldorf versagt wurde. Hiergegen wandte er sich mit einer Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Dieses wies die Beschwerde zurück.

 

Entscheidungsgründe

Das Oberverwaltungsgericht ging dabei davon aus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg biete, was eine der Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe darstellt. Der Kläger verfolge nicht ausreichend aussichtsreich einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 HwO.

§ 8 HwO hat zwei Voraussetzungen, die beide erfüllt sein müssen, damit eine ausnahmsweise Bewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle – Ausnahmebewilligung – erteilt werden kann:

1. Es muss ein Ausnahmefall vorliegen.

2. Die zur selbständigen Ausübung des von dem Antragsteller angestrebten Handwerks notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten müssen nachgewiesen sein. Dabei sind auch die bisherigen beruflichen Erfahrungen und Tätigkeiten des Antragstellers zu berücksichtigen.

Nach den Vorschriften der HwO liegt ein Ausnahmefall vor, wenn die Ablegung einer Meisterprüfung zum Zeitpunkt der Antragstellung oder danach für den jeweiligen Antragsteller eine unzumutbare Belastung bedeuten würde. Dabei fordere, so das OVG, das Bundesverfassungsgericht unter dem Blickwinkel der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz eine grundrechtsfreundliche, großzügige Auslegung und Anwendung der Ausnahmetatbestände. Ausnahmefälle im Sinne von § 8 HwO seien somit dann anzunehmen, wenn es eine übermäßige, nicht zumutbare Belastung darstellen würde, einen Berufsbewerber auf den Nachweis seiner fachlichen Befähigung gerade durch Ablegung der Meisterprüfung zu verweisen. Wann das konkret der Fall sei, lasse sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen. Die Auslegung des § 8 HwO erfordere eine Gegenüberstellung der Voraussetzungen des Normalfalls der Meisterprüfung und des Sonderfalls einer durch eine solche Prüfung eintretenden unzumutbaren Belastung, so das OVG weiter. Die Meisterprüfung setze gemäß § 49 HwO die Zulassung voraus, welche u. a. regelmäßig das Bestehen einer Gesellenprüfung und eine mehrjährige, in der Regel dreijährige, Tätigkeit in dem betreffenden Handwerk erfordere. Die Meisterprüfung sei durch die Zulassungsvoraussetzungen mehrjähriger Ausbildungs- und Berufsausübungszeiten sowie eine gewisse Förmlichkeit des Prüfungsverfahrens gekennzeichnet. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt habe, beschwere der besondere Ausbildungsgang und die Prüfung, die das Gesetz als Regelfall der Erzielung der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten vorgeschrieben hat, die Berufsbewer-ber im typischen Fall nicht übermäßig.

Ausnahmefälle seien hingegen dadurch gekennzeichnet, dass der als Regel vorgeschriebene Weg zur Erzielung und zum Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten für einen Bewerber zu einer im Verhältnis zu der Vielzahl anderer Bewerber übermäßigen Belastung führe. Es kämen regelmäßig nur Fälle in Betracht, in denen die mehrjährige Ausbildung als solche und dabei namentlich die unmittelbare Vorbereitung auf die Meisterprüfung oder die Förmlichkeit der Prüfungssituation den Antragsteller mehr als die Vielzahl anderer Bewerber belaste. Dabei müsse die Belastung von einigem Gewicht sein, damit nicht die Ausnahmebewilligung als gleichwertige Alternative zum Meisterbrief erscheine, was sie nicht sei, betonte das OVG.

Im Falle des Klägers liege ein Ausnahmefall nicht vor. Ein solcher ergebe sich auch nicht daraus, dass es dem Kläger tatsächlich nicht zumutbar sei, Deutschkenntnisse in einem Umfang zu erwerben, die es ihm erlaubten, erfolgreich an den erforderlichen, im Gruppenunterricht abgehaltenen Meisterkursen teilzunehmen. Zum einen handele es sich bei der Anforderung der entsprechenden Deutschkenntnisse um eine Grundvoraussetzung für die spätere Tätigkeit als Meister. Die für die Meisterprüfung erforderlichen Deutschkenntnisse seien kein Selbstzweck, sondern für die spätere selbständige Betriebsführung im Umgang mit Kunden, Lieferanten, Behörden und Mitarbeitern unerlässlich. Zum anderen sei weder dargelegt noch ersichtlich, dass der Kläger die notwendigen Sprachkenntnisse nicht in zumutbarer Weise erwerben könne. Bei ihm gehe es nicht um den vollständigen Neuerwerb, sondern um die Erweiterung seines Sprachschatzes. Dass er die deutsche Sprache zumindest hinreichend beherrsche, habe er mit seiner Einbürgerung nachgewiesen. Der Kläger sei bereits 2011 mit 21 Jahren nach Deutschland gekommen. Seine Behauptung, dass ihm die Erweiterung seines Sprachschatzes aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei, habe er nicht weiter begründet. Auch anderweitig ergäben sich keine objektiven Anhaltspunkte für eine entsprechende Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit. Vielmehr sei der Kläger darauf zu verweisen, dass er entweder vor dem Besuch des Meisterkurses nochmals Deutschkurse zum erweiterten Spracherwerb besuchen oder aber sich auf die Meisterprüfung im Einzelstudium anhand von Fachliteratur begleitend vorbereiten könne.

In diesem Zusammenhang führe der Verweis des Klägers auf die für vergleichbar erachtete Situation einer Person, die unter Legasthenie leide, die also trotz erheblichen Bemühens nicht in der Lage sei, Texte zu lesen und zu verstehen bzw. eigene Gedanken fehlerfrei zu Papier zu bringen, nicht weiter. Gleiches gelte für den vom Kläger ebenfalls bemühten Vergleich mit Personen, die Schwierigkeiten haben, dem Mathematikunterricht zu folgen. Bei den vom Kläger angesprochenen Störungen handele es sich mit Legasthenie und Dyskalkulie um anerkannte Krankheiten, während der Kläger schon keine gesundheitlichen Hindernisse zur Erweiterung seiner Deutschkenntnisse anführe.

Ein Ausnahmefall ergebe sich auch nicht aus der vom Kläger begehrten Beschränkung auf die Bereiche Herrenhaarschnitte und Bartpflege. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei geklärt, dass auch die Erteilung einer eingeschränkten Bewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle das Vorliegen eines Ausnahmefalls voraussetze. Ein Ausnahmefall lasse sich nicht schon allein daraus herleiten, dass nur die Ausübung eines Teilbereichs des Handwerks beabsichtigt sei und allein deswegen der Nachweis der Befähigung für das gesamte Handwerk durch eine Meisterprüfung eine unzumutbare Forderung bedeute. Die Handwerksordnung verlange den durch die Meisterprüfung erlangten großen Befähigungsnachweis als Grundlage der Ausübung eines selbständigen Handwerks. Es bestehe somit kein Anhalt dafür anzunehmen, dass die Ablegung der Meisterprüfung in Fall des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände eine übermäßige Belastung im Vergleich zu der Vielzahl anderer Bewerber darstelle.

Auch die zweite Voraussetzung zur Erlangung einer Ausnahmebewilligung sah das OVG als nicht erfüllt an. Die für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nachzuweisenden Kenntnisse und Fertigkeiten im Sinne von § 8 HwO müssten in etwa der Befähigung entsprechen, wie sie in einer Meisterprüfung nachzuweisen sei. Nach den Umständen des Einzelfalls könne dies auch unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Berufserfahrung in herausgehobener, beruflicher Verantwortung erfolgen. Neben den notwendigen handwerklichen Kenntnissen und Fertigkeiten setze die Ertei-lung einer Ausnahmebewilligung deshalb auch stets den Nachweis des zur ordnungsgemäßen Betriebsführung in eigener Verantwortung erforderlichen fachtheoretischen, betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Grundlagenwissens voraus.

Soweit das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2005 mit Blick auf die Veränderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Umstände eine großzügigere Bewilligungspraxis gefordert habe als bisher, habe es bereits selbst anerkannt, dass der Gesetzgeber diesem Erfordernis schon mit der Schaffung der Altgesellenregelung in § 7b HwO neben der Möglichkeit zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 8 HwO Rechnung getragen habe. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der qualitativen Anforderungen an die selbstständige Handwerkstätigkeit auch mit Blick auf die im Inland zulässigerweise tätige Konkurrenz aus dem EU-Ausland nicht für erforderlich gehalten, auf die Anforderung zumindest einer mehrjährigen Berufserfahrung in herausgehobener beruflicher Verantwortung zu verzichten.

Von diesen Grundsätzen ausgehend sei beim Kläger bereits nicht ersichtlich, dass bei ihm diese notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten auch nur ansatzweise nachgewiesen sind. Der Kläger hat Kenntnisse und Fertigkeiten weder substantiiert vorgetragen noch nachgewiesen. Es sei nicht ersichtlich, dass er über die zur ordnungsgemäßen Betriebsführung in eigener Verantwortung erforderlichen fachtheoretischen, betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse in dem erforderlichen Maß oder wenigstens eine mehrjährige Berufserfahrung in herausgehobener beruflicher Verantwortung verfüge. Aus den von ihm vorgelegten Unterlagen wie Bescheinigungen von Behörden, Arbeitsbescheinigungen der bei ihm angestellten Betriebsleiterinnen sowie einer Arbeitsbescheinigung über die Tätigkeit als angestellter Friseur ergäben sich dafür kein Anhalt. Vielmehr bezögen sich diese Arbeitsbescheinigungen ausschließlich auf die handwerklichen Kenntnisse und Fertigkeiten des Klägers. Sie belegten nicht ansatzweise mehrjährige Tätigkeit in leitender Stellung. Diese Einschätzung werde auch nicht durch die seitens der Beklagten zwischenzeitlich erfolgte Zulassung des Klägers zur Meisterprüfung in Frage gestellt. Mit der Zulassung habe die Beklagte bekundet, dass sie den Kläger für fähig erachte, die notwendigen fachtheoretischen Kenntnisse zu erwerben, jedoch nicht, dass der Kläger entsprechende Kenntnisse bereits erworben habe oder wenigstens voraussichtlich in absehbarer Zeit erlangen werde.

 

Für die Praxis

Das OVG Nordrhein-Westfalen hat nochmals verdeutlicht, dass die Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle genau das ist was sie besagt – eine Ausnahme von der Regel, die keine gleichwertige Alternative zum Meisterbrief bildet. Die beiden Hürden, die vor der Erteilung einer Ausnahmebewilligung stehen, sind hoch, wenn auch nicht unüberwindbar. Liegt tatsächlich einmal ein Ausnahmefall vor, in dem die Ablegung der Meisterprüfung eine unzumutbare Belastung darstellt, sind seitens der Antragsteller immer noch Kenntnisse und Fertigkeiten unter Beweis zu stellen, die dem eines Meisters zumindest annähernd entsprechen und deutlich über Gesellenniveau liegen. Entsprechende Sachkundeprüfungen sind daher keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen. Erst wenn beide Hürden genommen sind, kommt die Erteilung einer Ausnahmebewilligung in Betracht.

Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Christian Behrendt, Leiter Abteilung Handwerksrecht, biha

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